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Mehr über Karl Heise:

Der Sohn des Fotografen sah fast nichts von der Welt

Werner Karl Heise wurde am 26.Juli 1926 in Tübingen geboren. Seine Eltern Karl Heise und Gertrud, geborene Grauer, wohnten in der Bahnhofstraße 5 in Gönningen im eigenen Haus. Der Vater Karl stammte aus Colmar im Elsaß, war aber württembergischer Staatsbürger. Er war in Gönningen seit 1931 selbständiger Dorf-Fotograf und hatte in den 1930er Jahren Postkarten vertrieben, die teilweise heute noch in den Stadtarchiven von Tübingen und Reutlingen angesehen werden können. Die Mutter Gertrud war in Gönningen geboren und Hausfrau und Tochter eines Gönninger Samenhändlers.

Werner Karl Heise besuchte sieben Jahre die Volkschule in Gönningen und das achte Schuljahr in Freiburg und wohnte bei seinem Onkel Paul Heise, ebenfalls Fotograf. Während seiner Schulferien besuchte Karl seinen Onkel Ernst Heise in Colmar. Dieser Onkel Ernst wurde während eines längeren Besuches in Gönningen - in der Zeit als Karl Heise Junior in Freiburg war - wegen Spionage verhaftet und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Karl Junior war nicht im Jungvolk und in der Hitler-Jugend (HJ) organisiert. Nach der Schulentlassung begann er eine Lehre als Fotograf bei Schöllhammer in Nürtingen, die er aber nicht abschließen konnte: Er wurde vom 7. Februar zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Dort fiel ihm 14 Tage vor seiner Entlassung beim Sport eine Kugel „von 15 Pfund“ auf den Fuß. Auf Grund dieser Fußverletzung wurde ein erster Einberufungsbefehl am 17. März 1944 zur Aufklärungsabteilung nach Stuttgart-Bad Cannstatt wieder rückgängig gemacht. Die Untersuchung fand im Teillazarett in der Hermann-Kurz-Schule in Reutlingen statt. Obwohl die Verletzung noch nicht ganz ausgeheilt war, wurde er am 27. April 1944 als Panzergrenadier ins 3. Ausbildungs-Kompanie/ Panzergrenadier Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 215 nach Reutlingen eingezogen. Obwohl vom Arzt wegen der Fußschmerzen Bettruhe verordnet war und er einen Gips am Fuß hatte., warf ihn der Stubenälteste wohl als „Drückeberger“ aus dem Bett.

Er wollte nach Hause zu seinen Eltern. Mit Karl Heise ist sein Stubenkamerad Werner Schmidt am 22. Mai 1944 um 1 Uhr nachts durch die Tür des Luftschutzkellers der Hindenburgkaserne in Reutlingen geflohen. Heise nahm dabei wohl auch sein Bajonett mit. Gegen 4 Uhr kamen die beiden in der elterlichen Wohnung in Gönningen an, wurden dort verköstigt und zogen sich Zivilkleidung an. Die Kleidung hatten die Eltern wohl bei einem Besuch in der Kaserne am 21.Mai mitgenommen. Nach 5 Uhr verließen die beiden die Wohnung Heises und gingen Richtung Roßberg, wo sie im Wald ihre Uniform vergruben und den Tag in einem Heuschober verbrachten. Heise und Schmidt wollten sich in die Schweiz durchschlagen. In der Nacht zum 23. Mai wurde Werner Schmidt in Öschingen entdeckt, als er sich mit Eiern aus einem Hühnerstall eindecken wollte. Schmidt wurde von einem Unteroffizier, der auf Urlaub war, vorläufig festgenommen und im Ortsarrest untergebracht, sowie die Standortverwaltung in Reutlingen informiert - Karl Heise konnte entkommen.

Am Morgen des 22. Mai kam ein Unteroffizier der Reutlinger Kompanie zu den Eltern Heise, um nach dem fahnenflüchtigen Sohn zu suchen. Vater Heise beklagte sich dabei über die schlechte Behandlung seines Sohnes in der Kompanie, der mit einer Fußverletzung eingezogen worden war. Dies machte er auch im Laufe des Tages schriftlich gegenüber dem Kompanieführer deutlich. Dieser äußerte in einem Schreiben an das Amtsgericht Reutlingen den Verdacht, „dass der Pz. Gren. Heise unter dem ständigen zersetzenden Einfluß seines Vaters gestanden hat. Pz.Gren. Schmidt ist durch die Äußerung des Herrn Heise zur Fahnenflucht verführt worden.“ Am 24.Mai 1944 wurden dann die Eltern vom Landjäger wegen Verleitung zur Fahnenflucht ihres Sohnes verhaftet.

Eine junge Nachbarin informierte den Landjäger des Dorfes, dass im Hause der Heises ein Fenster offen stehe. Noch am Vortag hatte die Denunziantin des Sohnes sich vom Vater fotografieren lassen. Der Landjäger hat bei einer Vernehmung nach Kriegsende mitgeteilt, er sei vier Tage vorher von seiner Dienststelle beauftragt gewesen, den flüchtigen Soldaten Karl Heise festzunehmen. Er hätte sich davon überzeugt, dass das Fenster wirklich offen war, sei über den Zaun gestiegen und hätte eine männliche Person auf dem Sessel, Zeitung lesend gehen. Auf dem Tisch neben ihm hätte dessen Seitengewehr gelegen. Er habe Karl Heise angerufen und der habe ihn gefragt, wo seine Eltern seien. Der Landjäger hätte dann zu ihm gesagt, dass er es nicht wisse, aber möglicherweise seien sie bei der Vernehmung.

Der Vater Karl Heise sah bei der Befragung, die die französische Militärverwaltung in der unmittelbaren Nachkriegszeit veranlasste, im Landjäger den Hauptschuldigen, dass sein Sohn zum Tod verurteilt wurde. Dieser habe in der Anzeige hervorgehoben, dass Karl Junior sich bei der Festnahme am 26. Mai zur Wehr gesetzt habe. Nach Aussage eines Dienstmädchens von Heise Seniors Schwiegermutter habe der Landjäger nämlich ihr erzählt, dass der Sohn Karl bei seiner Verhaftung einen Fahrradschlauch geflickt habe. Diese Vermutung des Vaters könnte durchaus zutreffen, weil bei den Urteilen der Wehrmachtsgerichte Gewalt bei der Festnahme immer strafverschärfend geahndet wurde.

Heise Junior wurde vom Landjäger aufgefordert, mitzugehen und wurde in den Ortsarrest gebracht. Am anderen Morgen wurde Heise Junior von einem Unteroffizier und einem weiteren Mann abgeholt und nach Reutlingen gebracht. Dieser Verhaftung folgte ein kriegsgerichtliches Verfahren durch das Gericht der Division 465, in dem Heise und Werner Schmidt, sein Stubenkamerad in der Reutlinger Kaserne, zum Tode verurteilt wurden. Karl Heise und Werner Schmidt wurden am 9. Oktober 1944 durch das Gericht der Division 465 im Schießtal um 7:45 Uhr hingerichtet.

Die Eltern Heises wurden in das Amtsgerichtsgefängnis nach Reutlingen eingeliefert. Dort waren sie zwei Tage und wurden dann zuständigkeitshalber nach Tübingen ins Landesgefängnis überstellt. Am 27. Mai gering Haftbefahl des Amtsgerichts Tübingen. Der Antrag ihres Verteidigers, mit den Inhaftierten zu sprechen, wurde am 9. Juni 1944 abgelehnt „solange zweifelhaft ist, ob die Sache an den Herrn Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof abzugeben ist.“ Am 15. Juni wurde im elterlichen Haus noch eine Hausdurchsuchung durchgeführt, die ergebnislos blieb.

In den Verhörprotokollen von Karl Heise Junior, Werner Schmidt und Vater Heise ist deutlich das Bemühen der NS-Strafverfolgungsbehörden herauszulesen, den Vater als treibende Kraft herauszustellen. Werner Schmidt bemühte sich, seine Rolle als „Verführten“ zu beschreiben, während Karl Heise Junior seinen Vater so beschrieb, dass dieser ihnen eher von der Flucht abgeraten hätte. Der Oberreichsanwalt des Volksgerichtshofes „hatte gegen den Ehemann die Todesstrafe in Aussicht genommen“.

Letztendlich reichten die Ergebnisse wohl nicht für eine Anklage vor dem Volksgerichtshof aus und so blieben die Eltern Heise bis zu ihrer Verurteilung am 18. September 1944 in Tübingen inhaftiert. Dann wurden sie in einem Einzeltransport zur Gerichtsverhandlung gebracht. Es fand im Amtsgerichtsgebäude Ludwigsburg vor dem 1. Strafsenat des Sondergerichts des Oberlandesgerichts statt. Der Vater wurde wegen Wehrkraftzersetzung zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt und am 22. September 1944 in den Zellenbau des Gefängnisses Ludwigsburg eingeliefert. Ihm wurden auf fünf Jahre die „Ehrenrechte eines Deutschen“ aberkannt. Die Mutter wurde wegen Beihilfe zur Fahnenflucht zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt und verbüßte ihre Strafe ab dem 10. Oktober 13:30 Uhr im Frauengefängnis Gotteszell (Schwäbisch Gmünd) ebenfalls bis zur Befreiung vom NS-Regime im Mai 1945.

Siehe auch Werner Schmidt

Quellen:


StadtA Reutlingen Bestand G5a - GA Gönningen 527


StadtA Reutlingen Bestand politisches Referat, Nr. 58


StadtA Reutlingen Bestand politisches Referat, Nr. 184


StadtA Reutlingen Familienregister


Schwäbisches Tagblatt Tübingen, 2. Dezember 2006, S. 29


Tübinger Adressbuch1934; VI S.16 Heise, Karl_Vater


Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T 2 Nr. 2555/006


Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T 2 Nr. 2555/005


StadtA Ludwigsburg L67 Zg. I/25/1984Nr. 1,6


StadtA Ludwigsburg L3-3858


BArch-PA B 563 – 1 Kartei H- 2047/211


BArch- R 3018/2363



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